Modellreihe produziert 1954-1967, Werra IV ca. 1958-1962
Werra IV (Werra 4) mit selbst gebasteltem Zubehörschuh
Technische Daten:
- Messsucherkamera für 135er Kleinbildfilm mit Dioptrinausgleich
- Synchro Compur Zentralverschluss
- Belichtungszeiten: Bulb, 1", 1/2, 1/4, 1/8, 1/15, 1/30 bis 1/500 Sek.
- gekoppelter Entfernungsmesser mit Schnittbildtechnik
- integriertes Bildzählwerk
- ungekoppelter Selenbelichtungsmesser mit Anzeige auf der Kameraobereseite
- Selbstauslöser 10 Sekunden, Blitzsynchronisation X und M
Besonderheiten:
Verschlussspannung und Filmtransport durch Drehring um das Objektiv, ab Modell III Wechselobjektivsystem
Die Werra ist die einzige Kamera, die von Carl Zeiss produziert wurde. Es ist eine Messsucherkamera die auffällt durch ein
außergewöhnliches Design, die einzigartige Verschlussspannung und Filmtransport durch einen Ring um das Objektiv und die
ungewöhnliche Objektivkappe, die auch als Streulichtblende dient.
Hergestellt wurde sie vom VEB Carl Zeiss Jena, die in der ehemaligen DDR die Nachfolge der berühmten Carl Zeiss Werke antraten.
Die Produktionsstätte für die Werra war in Eisfeld. Ebenso erhob aber auch die nach dem Krieg in den Westen übergesiedelten
Zeiss-Opton Werke in Oberkochen den Anspruch der Rechtsnachfolge. Die Werrakameras für den Export in den Westen tragen daher
nicht den Markennamen Carl Zeiss, sondern nur den Zusatz "Jena" oder "aus Jena". Auch der strittige
Markenname Tessar wurde nur als "T" abgekürzt angegeben. Die innerhalb der Ostblockstaaten vertriebenen Kameras
trugen die vollen Markennamen.
Insgesamt wurden von 1954 bis 1967 ca. 500.000 Werrakameras in 22 verschiedenen Modellen hergestellt. Als die Kamera Ende
1954 auf den Markt kam, hatte sie noch mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen. Jedoch waren da schon mehrere 1000 Stück
ausgeliefert worden, was zu einem anfänglichen Imageschaden führte. Die Modellpalette wurde zügig erweitert, und durch das
moderne Design und die ungewöhnliche Bauart konnte sich die Werra bis 1967 am Markt behaupten. Dann war der Absatz von
Messsucherkameras nicht mehr rentabel genug und die Produktion wurde eingestellt.
Werra IV mit Objektivkappe als Streulichtblende
Die Werramodelle wurden anfangs in olivgrün, dann auch in schwarz hergestellt. Dazu gab es mit der Zeit wechselnde
Designs. Abgerundete Kanten, durchgehende Plastikfrontplatten, Belichtungsmesserabdeckungen und ein zusätzlicher Zubehörschuh
gehörten zu den hauptsächlichen Änderungen im Design. Die Namensgebung für diese Designs ist nicht ganz eindeutig.
So haben die Modelle mit dem Zusatz "E" alle eine durchgehende Plastikfrontplatte, jedoch scheint es eine Werra 2E
zu geben, die nur die abgerundeten Kanten dieses Designs hat. Anfangs war ein 3.5/50 Novonar das Standardobjektiv, das dann
schnell von einem guten Tessar 2.8/50 abgelöst wurde. Die ersten Modelle weisen noch einen einfachen Compur oder Vebur
Verschluss mit 1/250 als kürzeste Zeit auf. Später wurde der RVS Prestor Verschluss mit der ungewöhnlichen 1/750 als kürzeste
Zeit eingeführt, hier sind aber auch Versionen mit einer 1/500 bekannt. Eher selten ist ein Synchro Compur Verschluss
mit 1/500 anzutreffen.
Die normalen Lamellenverschlüsse öffnen sich, bleiben dann offen, kehren ihre Bewegung um und schließen.
Der Prestor RVS erreicht seine schnelle 1/750 durch einen Verschlussmechanismus mit rotierenden Lamellen,
die sich in einer einzigen Bewegung öffnen und schließen. Weil die auslösenden Lamellen beim Spannen ihre Rotationsbewegung
ausführen und dadurch einmal kurz geöffnet werden, hat der Prestor RVS aber einen zusätzlichen zweiten Lamellverschluss,
der sich beim Spannen zuerst schließt.
Die Werras lassen sich unabhängig vom Design und Verschluss in ihrer Ausstattung folgendermaßen klassifizieren:
Werra I (1): Basismodell ohne Extras
Werra II (2): mit ungekoppeltem Belichtungsmesser mit Abdeckklappe
Werra III (3): mit gekoppeltem Entfernungsmesser
Werra IV (4): mit gekoppeltem Entfernungsmesser und ungekoppeltem Belichtungsmesser mit Abdeckklappe
Werra V (5): mit gekoppeltem Entfernungsmesser und gekoppelten Belichtungsmesser mit Abdeckklappe, Einblendung
von Belichtungsmessung, Zeit und Blende im Sucher
Werra mat: mit gekoppelten Belichtungsmesser ohne Abdeckklappe, Einblendung von Belichtungsmessung, Zeit und Blende
im Sucher
Werra matic: mit gekoppeltem Entfernungsmesser und gekoppelten Belichtungsmesser ohne Abdeckklappe, Einblendung von
Belichtungsmessung, Zeit und Blende im Sucher
Für die Modelle III bis V und matic gab es ein Wechselobjektivsystem. Zusätzlich konnte man ein 2.8/35 Flektogon und ein
4/100 Cardinar benutzen. Die entsprechenden Begrenzungsrahmen waren im Sucher eingezeichnet. Eine ausklappbare Rückspulkurbel
findet man auch erst bei den späteren Modellen, vorher gab es nur einen Knopf. Alle Kameras hatten einen Dioptrinausgleich.
Bei allen Kameras diente die Objektivkappe auch als Streulichtblende.
Durch die Modellvielfalt ist die Werra eine schöne Sammlerkamera. Die Werra I kann man schon für 10-20€ bekommen.
Die Werra II-IV liegen etwa zwischen 20-60€. Eine funktionierende Werra V oder Werra matic kann gut 80-100€
kosten. Alle Belichtungsmesser der Werras arbeiten mit Selenzellen und können daher nicht mehr richtig funktionieren, trotzdem
werden diese Preise erzielt. Wer mit der Werra auch fotografieren möchte, sollte größeren Wert auf den gekoppelten
Entfernungsmesser legen.
Wechselobjektivsystem an der Werra IV
Eine interessante Kamera aus dem Internet
Durch Zufall bin ich auf die Werra aufmerksam geworden. Eigentlich wollte ich recherchieren, was ein 135mm Carl Zeiss Tessar
kostet. Dabei stieß ich auf die Werra mit dem Tessar. Ich war von dem ungewöhnlichen Design sofort begeistert. Ich beobachtete
einige Werras bei Ebay und ersteigerte eine Werra IV am 27.10.2010 für 33,50€.
Meine Werra hat einen selbstgebastelten Zubehörschuh und ist somit ein Unikat. Der Zubehörschuh ist nicht angeschraubt, sondern
wurde wie es scheint mit 2-Komponenten Kleber aufgeklebt und sitzt bombenfest. Der Entfernungsmesser funktioniert, hat aber
vertikal beim eingespiegelten Bild eine leichte Verschiebung.
Der Belichtungsmesser zeigt zwar plausible Werte an, die aber nach näherer Prüfung um eine Unterbelichtung von etwa 1 Blende
abweichen. Trotzdem kann ich ihn noch benutzen, indem ich beispielsweise für einen ASA 100 Film an der Kamera ASA 50 einstelle.
Innen und außen war die Kamera bei Erhalt schon sehr gepflegt. Innen ist ein Aufkleber von Foto Wolf in Bad Cannstatt, was zu
den fehlenden Markennamen an der Kamera passt, die sie als Exportware kennzeichnen. Vorne am Tessar ist auch das kleine Zeichen
"Q1" für erste Qualität.
Werra IV-Tessar mit Beschriftung für den Export: Jena, Q1 und "T"
Die erste Verschlussspannung und Auslösung ließ erkennen, daß die Kamera schon sehr lange nicht genutzt wurde. Die langen
Zeiten hingen, der Filmtransport knarzte, der Auslöseknopf klemmte. Nach einigen Auslösungen bewegte sich der Auslöseknopf
wieder frei. Mit etwas Feuerzeugbenzin bekam ich den Filmtransport und die langen Zeiten wieder gangbar. Auch der
Selbstauslöser schnurrt wieder brav ab. Die Sucherfenster waren innen verschmiert. Durch Abschrauben der seitlichen Gurthalter
kann man den oberen Deckel abnehmen. Den Sucher kann man nur herausschrauben, wenn der Deckel um ein 1-2mm angehoben ist,
dann kann man ihn erst ganz abnehmen. Es fallen einem gleich die beiden Fensterchen entgegen, die mit kleinen Federn unter
Spannung gegen den Deckel gehalten wurden. Sie sind aus Glas und man kann sie leicht reinigen. Der Wiedereinbau ist aber
etwas schwierig, besonders das kleine Fenster bereitet hier Probleme. Beim kleinen Fenster habe ich dann die Feder umgedreht,
damit ich es wieder einigermaßen einfügen konnte. Da die Fenster mit Druck gegen den Deckel drücken, muss man beim Aufschieben
des Deckels sehr vorsichtig sein, damit keine Kratzer auf den Fenstern entstehen. Nach Reinigung der Fenster ist der Durchblick
nun schön klar. Eine Schraube für die vertikale Korrektur des Entfernungsmessers konnte ich nicht finden.
Übrigens befindet sich die Schraube für die horizontale Justage nicht dort, wo es bei Mike Elek für die modernere Variante
einer Werra III beschrieben ist. Die Schraube befindet sich unten am beweglichen Arm des Entfernungsmessers. Man erreicht sie
nur bei abgenommenen Deckel. Sie befindet sich wenn man von hinten auf die Kamera schaut in einem breiten Loch etwa in der
Mitte der Kamera links vom Auslöser an der Kante. Dort sieht man 2 Schrauben auf dem Arm. Die linke dient zur Justage.
Die rechte konnte ich nicht bewegen, daher kann ich nicht sagen, wofür diese ist.
Fotografieren mit der Werra IV
Mit knapp 580g Gewicht gehört die Werra nicht zu den leichten Messsucherkameras. Auch in der Größe zählt sie nicht zu den
Jackentaschenkameras. Am Boden der Kamera ist in der Mitte um das Stativgewinde ein kleiner geriffelter Drehkranz.
Auf diesem ist ein kleiner schwarzer Punkt. Zeigt dieser zur Kamerarückseite, ist die Kamera geschlossen. Mit leichtem Druck
kann man den Kranz gegen den Uhrzeigersinn drehen, so daß der Punkt zur Kameravorderseite zeigt. Nun kann man die Rückwand mit dem
Kameraboden abziehen. Der Film wird rechts eingelegt und nach links gespult, er steht also auf dem Kopf. Das Einlegen ist etwas
fummelig, da die Nehmerspule nur eine sehr kurze Klemmlasche für den Film hat. Das Bildzählwerk muss man selbst auf Null stellen,
dazu dreht man den kleinen gezahnten Ring mit der Markierung in der Mitte des Filmzählers. Wenn man den Boden wieder aufgeschoben
hat, schließt man die Kamera durch Drehen des kleinen Zahnkranzes im Uhrzeigersinn.
Bei der Werra IV wird zum Filmladen der Boden abgenommen
Die Werra hat einen Entfernungsmesser. Dieser funktioniert aber nicht nach dem Prinzip eines Mischbildentfernungsmessers,
sondern ähnlich wie ein Schnittbildindikator. In der Mitte wird ein kleines rechteckiges Bild eingespiegelt, durch das man den
Hintergrund nicht erkennen kann. Man stellt scharf, indem man am äußersten Ring des Objektivs dreht, bis das mittlere Bild
mit seinen Außenlinien mit dem umliegenden Linien übereinstimmt. Das Fokussieren auf Motive ohne klare Linien ist daher etwas
schwieriger, als bei einem Mischbildentfernungsmesser. Trotzdem macht es Spass damit zu arbeiten. Der Sucher ist klar, verzeichnet
aber zum Rand hin recht kräftig. Das Sucherokular lässt sich zum Dioptrinausgleich drehen. Ist das Sucherbild unscharf, dann
muss man sich den richtigen Dioptrinausgleich einstellen. Im Sucher sind wegen der verwendbaren Wechselobjektive 2 Rahmen
eingezeichnet, der ganze Sucher ist für 35mm, der mittlere Rahmen für 50mm und der innerste für 100mm Brennweite. Anfangs
muss man sich erst daran gewöhnen, welchen der angezeichneten Rahmen man für den Bildausschnitt wählt. Es hat bei mir
etwas gedauert, bis ich bei meinen ersten Fotos den mittleren Rahmen für das Tessar nahm, zuerst habe ich immer das ganze
Sucherbild genommen. Mit eingezeichnet sind auch kleine Kanten für den Parallaxenausgleich im Nahbereich.
Werra IV von unten
Blende und Verschlusszeit sind miteinander gekopppelt. Am Blendenring ist ein kleiner Knopf, mit dem man die Koppelung lösen
kann und den Blendenring alleine verstellen kann. Es lassen sich auch halbe Blenden einstellen. Unten am Objektiv kann man
den ASA-Wert des Films einstellen, das braucht man, wenn man den Belichtungsmesser benutzen möchte. Da es sich um einen
Selenbelichtungsmesser handelt, zeigen die meisten heute keine korrekten Werte mehr an oder sind unbrauchbar, weil die
Selenzellen nicht über Jahrzehnte halten und besonders bei dauerhaftem Lichteinfluss stark an Leistung verlieren.
Trotzdem beschreibe ich hier, wie er zu benutzen ist. Bei dunkleren Lichtverhältnissen, also etwa bei ASA100 weniger als f/8
mit 1/60s, klappt man den Belichgungsmesser auf. Dazu drückt man oben an der Klappe seitlich den kleinen hervorstehenden
Stift. Der Belichtungsmesser zeigt Blendenwerte an. Schaut man von oben auf das Objektiv, so ist zwischen dem Blendenring
und Zeitenring ein Zwischenring, auf dem links ein kleiner schwarzer Punkt und rechts ein kleiner grüner Punkt zu sehen ist.
Den abgelesenen Blendenwert stellt man mit dem entkoppelten Blendenring für Messungen mit offener Klappe auf den kleinen
schwarzen Punkt links. Bei hellen Lichtverhältnissen lässt man die Klappe zu und stellt den abgelesenen Wert auf den grünen
Punkt rechts ein. Hat man den Blendenwert auf den jeweiligen Punkt eingestellt, kann man nun gekoppelt die gewünschte
Verschluss-Blendenkombination einstellen. Erreicht man den Punkt mit dem Blendenring alleine nicht, muss man erst Zeit und
Blende gekoppelt etwas verstellen.
Werra IV Verschluss-, Blenden-, Bajonett- und Entfernungseinstellungsring
Werra IV Belichtungsmesser, rechts die geöffnete Klappe
Das besondere ist bei der Werra die Verschlussspannung und Filmtransport durch eine halbe Drehung des belederten Ringes an
der Front um den Verschluss. Was auf den ersten Blick clever erscheint ist bei der täglichen Benutzung aber gar nicht so
praktisch. Anders als beim bekannten Schnellspannhebel muss man zum Drehen des Ringes eine Hand von der Kamera nehmen.
Mehrere schnelle Auslösungen nacheinander sind so nicht möglich. Auch wenn man schon anvisiert hat und dann merkt, daß man
vergessen hat zu Spannen, muss man erst die Kamera wieder vom Auge nehmen um zu Spannen.
Am Boden der Kamera kann man an einem Hebel die Blitzsynchronisation X und M sowie den Selbstauslöser V einstellen. Der
Knopf zum Lösen der Rückspulsperre ist am Boden neben dem Filmzählwerk in einer kleinen Mulde. Das
Rückspulen mit dem Rückspulknopf auf der anderen Seite ist etwas mühsam, weil sich der Film wieder zurückwickelt und
man den Knopf immer mit einem Finger leicht festdrücken muss, damit er nicht immer zurückspringt. Das Objektiv kann man
abnehmen, wenn man den Überwurfring mit den Griffrillen zwischen Tiefenschärfeanzeige und Blendenwerten gegen den Uhrzeigersinn
dreht. Wenn man es wieder einsetzt, muss man dieselbe Blendeneinstellung wie beim Herausnehmen haben. Wie bei allen Werras
kann man den Objektivdeckel auch als Streulichtblende benutzen, wenn man den kleinen Innendeckel abschraubt. Jedoch schattet
diese Streulichtblende den Sucher etwas ab und man kann den Fokussierring vorne am Objektiv dadurch schlechter mit den Fingern
erreichen.
Als ich die ersten Aufnahmen gescannt hatte war ich sehr überrascht. Das Tessar ist knackig scharf und hat eine interessante
Bildwirkung. Bei Offenblende bietet es eine schöne Tiefenschärfewirkung und ist auch hier schön scharf. Das Bokeh ist schön
cremig weich. Also schon alleine wegen diesem unglaublichen Objektiv lohnt sich die Anschaffung einer Werra, ein absoluter Geheimtip!